„Ich bin nicht verrückt, ich kann nur nicht sprechen!“ Als Günter de Bruyn im Frühjahr 1945 schwer am Kopf verwundet wurde, schrieb ein Sanitäter auf ein Schild: „Kopfverletzung – nicht auskunftsfähig.“ Erst langsam realisierte der lallende Soldat, dass nicht bloß sein Sprachzentrum betroffen war, sondern dass er auch die Fähigkeit verloren hatte, sich schriftlich überhaupt zu äußern – aus der erhofften „Gegendarstellung“ wurde deshalb nichts. Von der Verzweiflung, die ihn darauf ergriff, berichtet der Schriftsteller in seiner Zwischenbilanz (1992). Der Leser kann darin miterleben, wie er damit beginnt, sich Geburtsjahre von Dichtern ins Gedächtnis zu rufen oder Namen von Karl-May-Figuren aufzuzählen. Als er dieses literarische Pensum mühelos bewältigte, fing er an, wieder Hoffnung zu schöpfen.
- Der vermeintliche Untergang des Bürgertums
- Depeschen aus der Kapitale - 1 (2017)
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Die Kunst, ein Leben zu erzählen
von: Thomas Brose