„Die Sicherheit, der ich das Glück meiner frühen Kindheit verdanke, basierte neben der Liebe der Eltern zu uns und zueinander auch auf einem Familien-Katholizismus, der unser Leben in die festen Regeln von Tisch- und Abendgebet, von sonntäglichem Kirchenbesuch und fleischlosen Freitagen zwängte, sonst aber von Person zu Person individuell gefärbt war“, schrieb der 1926 geborene Günter de Bruyn in seiner „Zwischenbilanz“ (1992).
Der Autobiograf machte darin deutlich, wo für ihn Quellen einer Autorschaft im Spannungsfeld von Machtanspruch und Gewissensentscheidung zu finden sind: Katholischsein in der Berliner Diaspora bedeutete für das jüngste von vier Geschwistern, Rückhalt im Glauben zu suchen und sein Leben im „Dritten Reich“ davon imprägnieren zu lassen – etwa durch das Ritual der Gewissenserforschung, „die ein allabendliches Bilanzziehen empfahl. Im Bett, kurz vor dem Einschlafen, sollte ich noch einmal die Geschehnisse des vergangenen Tages an mir vorbeiziehen lassen, mich an mein Handeln und Unterlassen erinnern, um mir klar darüber zu werden, ob mein Verhalten gottwohlgefällig gewesen war oder nicht. („Das erzählte Ich“, 1995) Anders z.B. als sein Schriftstellerkollege Günter Grass, der abfällig „vom katholischen Mief“ redete und später bekannte, als 17jähriger begeistertes Mitglied der Waffen-SS geworden zu sein, geriet de Bruyn nicht in eine derartige Versuchung.